Ausweichspielstätte während der Opernhaussanierung

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

mit diesem Schreiben möchten wir Ihnen, allen beteiligten Geschäftsbereichen der Stadtverwaltung sowie der Öffentlichkeit die folgenden Leitgedanken und Forderungen der SPD-Stadtratsfraktion zur notwendigen Ausweichspielstätte für die Musiktheatersparten des Staatstheaters Nürnberg während der Sanierung des Opernhauses zur Kenntnis geben.

1) Allgemeine Anforderungen an die Ausweichspielstätte

  • Die Ausweichspielstätte muss (ggf. in Kombination mit anderen Standorten) geeignet sein, den Proben- und Spielbetrieb des Staatstheaters Nürnberg sicherzustellen, soweit dieser während der Opernhaussanierung nicht am Standort Richard-Wagner-Platz stattfinden kann. Der Begriff Ausweichspielstätte beinhaltet im betrieblichen Funktionszusammenhang mehr als nur den eigentlichen Interims-Theatersaal. Welche Nutzungen dies im Einzelnen umfasst, ist im weiteren Verfahren zu klären.
  • Die Ausweichspielstätte muss zeitgerecht fertiggestellt werden, damit der geordnete Übergang des Proben- und Spielbetriebs aus dem Opernhaus in die Ausweichspielstätte gesichert ist. Das Zeitfenster ergibt sich wesentlich aus der verbleibenden Nutzungszeit für das Opernhaus. Eine überraschende Betriebsuntersagung wie andernorts muss vermieden werden.
  • Die Ausweichspielstätte muss mindestens den Beschäftigten des Staatstheaters für die Jahre des Interims bis zur Rückkehr an den Richard-Wagner-Platz einen angemessenen Arbeitsplatz bieten, mehr als nur konzertante Aufführungen des Musiktheaterrepertoires und Aufführungen der Sparte Ballett ermöglichen, in der Dimensionierung die Bindung des Publikums an das Haus und eine wirtschaftliche Auslastung ermöglichen und somit das Überleben des Musiktheaters während der Opernhaussanierung sichern. Funktionseinschränkungen werden dabei unvermeidlich sein; eine Erstellung eines zweiten Opernhauses ist nicht das Ziel der Ausweichspielstätte.

2) Transparenz der Standortentscheidung

  • Die Standortentscheidung für die Ausweichspielstätte muss für Stadtrat und Öffentlichkeit transparent gestaltet werden.
  • Als erster Schritt ist hierzu die unverzügliche und umfassende Information des Stadtrats über die von den Bietern eingereichten Standorte im Rahmen des durchgeführten Interessenbekundungsverfahrens notwendig. Diese Interessensbekundungen müssen transparent ausgewertet werden.
  • Als zweiter Schritt ist zu klären, ob andere städtische Flächen oder Flächen städtischer Töchter zur Verfügung stehen. Dies können beispielsweise Baufelder für geplante spätere Erweiterungen oder geeignete Messehallen der NürnbergMesse sein (ggf. auch andere Hallen als die bislang untersuchte Halle 12).
  • Bei alledem ist die Opernhauskommission des Stadtrates sowie der Stadtrat durch frühzeitige Information und Entwicklung angemessener Arbeitsformate einzubeziehen. Auch die Öffentlichkeit sollte an der Meinungsbildung mitwirken können.
  • Eine Kostendimensionierung ist zwingender Bestandteil einer Standortentscheidung (bei allen Ungewissheiten einer Prognose in einem so frühen Projektstadium). Hierzu sind auch Aussagen zum Finanzierungskonzept erforderlich, insbesondere zur Einbeziehung einer etwaigen staatlichen Förderung der Ausweichspielstätte und zu den Voraussetzungen einer externen Vergabe von Leistungen. Hierbei sind nicht nur die Herstellungskosten, sondern auch etwaige Kostenfolgen bei einer Verzögerung der Sanierungsarbeiten im Opernhaus zu berücksichtigen.
  • Die Entscheidung zwischen einem im Bieterverfahren angebotenen Standort, einem Standort in einer sonstigen städtischen Liegenschaft und dem Standort Kongresshalle ist allerdings keine Entscheidung, die ausschließlich aus Kostengesichtspunkten oder aus der Nutzerperspektive heraus getroffen werden kann. Hier ist insbesondere die Perspektive der Erinnerungskultur in die Abwägung einzubringen.

3) Besonderheiten bei einer etwaigen Entscheidung für den Standort Kongresshalle

Für die SPD-Stadtratsfraktion ist noch offen, ob die Kongresshalle als Standort für eine Ausweichspielstätte in Betracht kommen kann.

a) Angemessener Umgang mit einer besonderen Immobilie

  • Die Kongresshalle als bauliche Hinterlassenschaft der NS-Gewaltherrschaft ist kein Standort wie jeder andere. Sollte die Wahl auf den Standort Kongresshalle fallen, sind in der weiteren Ausgestaltung zusätzliche Schritte erforderlich. Es sind in diesem Fall bereits im Vorfeld konzeptionelle Fragen zu klären, die dem speziellen Charakter des NS-Baus und den damit verbundenen Leitlinien zur Erinnerungskultur gerecht werden. Dieser Kontext muss bei allen Entscheidungen berücksichtigt werden bzw. es sind die Voraussetzungen zu erläutern, unter denen es überhaupt vorstellbar wäre, an diesem Ort sowohl künstlerische Nutzungen als auch ein Opernhaus-Interim zuzulassen.
  • Auch im Hinblick auf die Nachhaltigkeit der Nutzung müssen die Besonderheiten der Kongresshalle berücksichtigt werden. Die Kongresshalle ist keine „normale“ städtische Immobilie, die nach einer Nutzung als Ausweichspielstätte beliebig vermietet und anderweitig genutzt werden kann. Insofern muss man sich mit den Fragen auseinandersetzen: Wollen wir die Kongresshalle „fertig bauen“ bzw. bis zu welchem Punkt kann man eine bauliche Nutzung vertreten? Was soll ggfs. eine Nachnutzung beinhalten? Wie erfolgt die Verzahnung mit der Erinnerungskultur?
  • Sollte die Kongresshalle in Betracht gezogen werden, ist bei der weiteren Ausgestaltung besondere Sensibilität im Hinblick auf die Geschichte des Gebäudes, die Unfertigkeit der niemals fertig gestellten Kongresshalle, die Erlebbarkeit der von den Nationalsozialisten angestrebten baulichen Verführung der Massen und die Vermittlung einer demokratischen Antwort auf die Geschichte erforderlich. Die Vermittlungsarbeit darf durch eine Ausweichspielstätte nicht unmöglich gemacht oder konterkariert werden.
  • Diese Gesichtspunkte müssen im Vorfeld der Standortentscheidung sorgfältig abgewogen werden und den Möglichkeiten gegenübergestellt werden, durch die Ausweitung der kulturellen Nutzung einen modifizierten Umgang mit dem Gebäude zu finden, dem NS-Ungeist durch das Theaterrepertoire eine menschenfreundliche Haltung entgegenzusetzen und so zusätzliche Schritte zur demokratischen Aneignung des Areals zu gehen.

b) Verzahnung mit der angedachten Kunst- und Ateliernutzung

  • Sollte die grundlegende Standortwahl als Ergebnis der Abwägung auf die Kongresshalle fallen, halten wir es vor diesem Hintergrund auch für erforderlich, das Vorhaben mit der angedachten Kunst- und Ateliernutzung zu verzahnen. Das Vorhaben Ausweichspielstätte kann nicht losgelöst von der angedachten Nutzung einiger Segmente der Kongresshalle als Ort für Kunst und Ateliers (und ggf. weiterer kultureller Nutzungen) gedacht werden. Es braucht vielmehr ein ideelles, kulturelles, bauliches und finanzielles (Gesamt-) Konzept für die Unterbringung der neuen Nutzungen in dem Gebäudetorso und in seinem Umfeld.
  • Ein solches Gesamtkonzept sollte hinsichtlich der möglichen Nutzungen modular aufgebaut sein, die baulichen Gegebenheiten ebenso berücksichtigen wie wirtschaftliche und ökologische Aspekte der Nutzung und auf das pädagogische Vermittlungskonzept des Lernortes ehemaliges Reichsparteitagsgelände abgestimmt sein.

c) Offenheit für kreative Ideen und konstruktiven Dialog

  • Die Besonderheiten des Standortes Kongresshalle erfordern eine Offenheit für kreative Ideen und konstruktiven Dialog mit Fachwelt und Öffentlichkeit.
  • Diese Offenheit muss insbesondere für die räumliche Anordnung und Gestaltung des Interim-Theatersaales gelten. Vorfestlegungen und Denkverbote sind an diesem sensiblen Punkt unbedingt zu vermeiden. Eine reine Studie wäre angesichts der Komplexität der Aufgabenstellung hierfür nicht ausreichend und geeignet.
  • Ein zeitlich straff geführter Ideenwettbewerb ist ein geeignetes Mittel, um die Aufgabenstellung mit der nötigen gedanklichen Offenheit anzugehen. Zugleich bietet ein Ideenwettbewerb eine gute Möglichkeit, mit der Öffentlichkeit in einen Diskurs über Gestaltungsoptionen einzutreten.
  • Der ggf. mehrstufige Ideenwettbewerb ist anhand von klaren Vorgaben zur Nutzung sowie zur angemessenen Behandlung des historischen Ortes auf Grundlage der existierenden Leitlinien auszuloben. Eine Vorfestlegung der Platzierung des Interim-Theatersaales im Innenhof der Kongresshalle sollte hierbei nicht erfolgen, sondern auch eine Unterbringung im Gebäudetorso sowie im äußeren Umgriff der Kongresshalle gedanklich ermöglicht werden.
  • Ergebnis einer ergebnisoffenen Diskussion könnte auch eine gegenüber den bisherigen Annahmen abweichende Zuordnung der Torso-Segmente zu den Vorhaben Ausweichspielstätte bzw. Kultur- und Ateliernutzung sein. Dies zeigt erneut die Notwendigkeit der gedanklichen Verzahnung beider Vorhaben.

Die Erkenntnisse aus dem Ideenwettbewerb sowie das zu erarbeitende Nutzungskonzept sind in klare Vorgaben für ein geeignetes Wettbewerbsverfahren zur Auswahl der Planungsbüros zu überführen.

4) Transparente Organisation und Zuständigkeiten

Die Herstellung von Transparenz ist ebenso unverzichtbar wie die Einhaltung der für den gesicherten Spielbetrieb notwendigen Zeitfenster als auch die zeitgerechte Planung für das Interim. Dem muss durch eine Priorisierung und eine klare Aufgabenzuordnung innerhalb der Stadtverwaltung Rechnung getragen werden, (ggf. als „Chefsache“ unmittelbar beim Oberbürgermeister). Die Komplexität verlangt es, dass Konzeption und Planung aus einer Hand gesteuert werden.

Auf der Grundlage dieser Überlegungen werden wir als SPD-Stadtratsfraktion die weiteren Schritte im Zusammenhang mit dem Vorhaben Ausweichspielstätte konstruktiv begleiten.

Mit freundlichen Grüßen

Die Unterzeichner des Schreibens

Thorsten Brehm
Fraktionsvorsitzender

 

und

 

Dr. Anja Prölß-Kammerer
stv. Fraktionsvorsitzende

 

und

 

Dr. Ulrich Blaschke
Sprecher Opernhauskommission

 

und

 

Christine Kayser
stadtplanungspolitische Sprecherin

 

und

 

Michael Ziegler
kulturpolitischer Sprecher

 

und

 

Diana Liberova
Mitglied im Kulturausschuss und
Opernhauskommission