Ethikkonferenz

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

die Corona-Pandemie hat in vielerlei Hinsicht einmal mehr Schwachstellen in unseren Sozialsystemen deutlich aufgezeigt. Besonders für Menschen mit Unterstützungs- und/oder Pflegebedarf im Allgemeinen und Menschen, die in Pflegeeinrichtungen der Alten- oder Behindertenhilfe wohnen und leben und ihre Angehörigen waren die Grundrechtseinschränkungen, Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen in besonderer Weise herausfordernd.

Seit Beginn der Corona-Krise gelten beispielsweise in Pflegeheimen Besuchs- und Kontaktverbote, was für die Bewohner/-innen nicht nur eine Einschränkung ihrer Freiheit und damit Lebensqualität bedeutet, sondern sie auch in ihrer psychosozialen Gesundheit gefährdet. Besonders problematisch sind Kontaktsperren u.a. bei Menschen mit demenzieller Erkrankung oder Menschen mit Trisomie 21, die die Abstandsregeln schwerer verstehen, einen großen Bewegungsdrang haben und für die zudem Körperkontakte eminent wichtig sind. Die Sozialverbände warnen eindringlich vor einer sozialen Isolierung dieser Menschen, nicht nur in Pflegeheimen.

Weitere Beispiele in anderen Bereichen als der stationären Pflege, beispielsweise im ambulanten Versorgungsbereich oder in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen sind hinlänglich bekannt, wenngleich sie in der Öffentlichkeit eine eher untergeordnete Rolle gespielt haben. Die getroffenen Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung der Pandemie waren sicher notwendig und sollen nicht grundsätzlich kritisiert werden. Die Indizien zeigen, dass die Maßnahmen im Rahmen des Lockdown eine exponentielle Ausbreitung und eine Überforderung des Gesundheitssystems verhindert haben.

In unserer Verfassung steht, dass Grundrechtseingriffe immer nur dann zulässig sind, wenn eine Gefahr ausschließlich und alternativlos damit abgewendet werden kann. Außerdem muss regelmäßig geprüft werden, ob die Maßnahmen noch erforderlich oder gerechtfertigt sind. In diesem Sinne hat beispielsweise die Staatsregierung frühzeitig einen dreiköpfigen Ethikrat mit der Überwachung der Maßnahmen auf Ebene des Freistaats beauftragt.

Ziel muss es aus unserer Sicht nun sein, aus den Erfahrungen der Pandemie zu lernen und Ideen und ethisch klare Positionen zu entwickeln wie im Falle einer vergleichbaren Situation, aber auch grundsätzlich im Alltag der Einrichtungen besser mit Grundrechtseinschränkungen umgegangen werden kann.

Besonders aufgrund Nürnbergs Verpflichtung als Stadt der Menschenrechte sollten Einrichtungen in unserer Kommune hierbei eine Vorbildrolle einnehmen und bereit sein, an möglichen Selbstverpflichtungen und Konzepterstellungen zu ethischen bzw. menschenrechtlichen Fragestellungen während, aber auch außerhalb von Pandemiezeiten, mitzuwirken.

Daher stellt die SPD-Stadtratsfraktion zur Behandlung im zuständigen Ausschuss folgenden

Antrag

Die Stadtverwaltung wird beauftragt:

  • eine Nürnberger Ethikkonferenz unter Mitwirkung der Träger der Wohlfahrtspflege, privater Träger, des Stadtseniorenrates, des Behindertenrates und der AG Bewohnerfürsprecher und Bewohnervertreter, Vertretern der Fraktionen und Ausschussgemeinschaften, sowie weiteren relevanten Akteuren zu initiieren,
  • die Ergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich zu machen,
  • Vorschläge zu unterbreiten, wie eine Auseinandersetzung zu ethischen und menschenrechtlichen Fragestellungen in Einrichtungen der Alten- und Behindertenhilfe verstetigt werden kann.

Mit freundlichen Grüßen

Ihre Antragsteller

Jasmin Bieswanger
Stadträtin

 

und

 

Fabian Meissner
Stadtrat