Neu-N-Veranstaltung zur sinkenden Wahlbeteiligung

Expertin befürwortet Wählen mit 16 und Ergänzung zur traditionellen Urnenwahl um Wahlbeteiligung zu steigern

  • von  Redaktionsteam
    25.02.2016
  • neu-N, Beiträge

Warum sinkt die Wahlbeteiligung und was können wir vor Ort dagegen tun? Diese Frage stellte die SPD-Stadtratsfraktion und lud dazu als ausgewiesene Expertin zum Thema Demokratieforschung Frau Christina Tillmann von der Bertelsmann-Stiftung ein. Die Fraktionsvorsitzende Dr. Anja Prölß-Kammerer wies in ihrer Begrüßung darauf hin, dass die Rathaus-SPD die niedrige Wahlbeteiligung bei der letzten Kommunalwahl mit Sorge zur Kenntnis genommen hatte und als Reaktion darauf die „Stadtrat-Tour“ ins Leben gerufen habe. In der wahlkampffreien Zeit sei man in den letzten beiden Jahren in insgesamt fünf Stadtteilen unterwegs gewesen, um auch von Menschen, die Parteien sonst klassischerweise nicht erreichen, in Erfahrung zu bringen, was sie an ihren Stadtvierteln stört, gut finden oder gern anders hätten. Daneben habe man einen weitreichenden Antrag zur Stärkung der politischen Bildung auch im Rathaus eingebracht, so dass systematischer als bisher auch Schulklassen die Möglichkeit gegeben werden soll, „vor Ort“ einen Eindruck von Kommunalpolitik zu bekommen. Prölß-Kammerer betonte, dass es nicht immer gelänge alle Wünsche zu erfüllen, es aber auch oft darum ginge als „Übersetzer“ aus der Verwaltungswelt den Menschen die Gründe dafür zu vermitteln.

Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly gab zu bedenken, dass die Wahlbeteiligung bei den Kommunalwahlen sehr viel geringer sei als bei den Bundestagswahlen, obwohl doch die Kommunen die „Keimzellen“ der Demokratie seien und dort Politik oftmals am stärksten sichtbar wirke. In Nürnberg werde die Wahlbeteiligung genau analysiert und auch hier zeige sich, dass vor allem die Ärmeren und Menschen ohne Schulabschluss nicht zur Wahl gingen, während eine „Partizipationselite“ dadurch viel stärker repräsentiert sei. Auch deshalb gelte es nach wie vor als Sozialdemokraten auch „Stellvertreterpolitik“ für die Menschen zu machen, deren Interessen sonst unter die Räder zu kommen drohe. Menschen verabschiedeten sich aus Wut, Verzweiflung und Angst von der Politik. Zugleich verpassten sie dadurch aber auch Möglichkeiten. Auch das „Urversprechen“ der sozialen Marktwirtschaft, dass alle unabhängig von ihrem Geldbeutel die Chance haben, dass es ihnen besser gehe als letzten Generation, sei heute erschüttert, was auch zu Abwendungen vom demokratischen Prozess führe. Hier sei die notwendige Empathie für die Menschen wichtig, man müsse ins Gespräch kommen. E-Partizipation und Ratsbegehren seien andere Möglichkeiten wieder mehr Interesse und Beteiligung zu wecken, so Maly, der zugleich betonte auch keinen „Schlüssel zum Glück“ zu haben.

Frau Tillmann von der Bertelsmann-Stiftung entkräftete zunächst den Mythos, dass vor allem die „latent Zufriedenen“ nicht zur Wahl gingen. Tatsächlich seien es meistens die Unzufriedenen, die ihre Stimme nicht abgeben. Neben der sinkenden Wahlbeteiligung sei vor allem der Trend der sozial gespaltenen Wahlbeteiligung besorgniserregend. Je höher die Arbeitslosenquote, desto niedriger die Wahlbeteiligung, so das Resümee der Studie. Vor allem das Umfeld bestimme, ob jemand zur Wahl ginge. So sei die Wahlwahrscheinlichkeit höher, wenn beispielsweise auch die Freunde wählen gingen, es politische Gespräche im Elternhaus gibt, oder Wählen als Bürgerpflicht verstanden wird.

Die gute Nachricht sei demnach aber, dass eine deutliche Mehrheit der Nichtwähler mobilisierbar sei und sich nicht komplett vom demokratischen Prozess verabschiedet hätte. Schlüssig zeigte die Expertin, wie das Wählen ab 16 zur Steigerung der Wahlbeteiligung führen könnte. Österreich, oder auch Hamburg hätten damit gute Erfahrungen gemacht und gerade Jugendliche aus prekären Milieus profitierten davon. Auch gezielte Ansprache beispielsweise durch Haustürbesuche von neutralen Personen, die auf die Wahl hinwiesen, zeige deutliche Erfolge bei der Wahlbeteiligung. Tillmann sprach sich ebenfalls dafür aus, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen und fragte, warum es nicht auch möglich sein solle, beispielsweise per App über das Handy zu wählen. Die klassische Urnenwahl könne durchaus modernisiert werden, auch eine Ausweitung der Briefwahl könne bei der Steigerung der Wahlbeteiligung helfen, die die Bürger die orts- und zeitunabhängige Stimmabgabe schätzten. In der anschließenden regen Diskussion der rund 80 interessierten Zuhörerinnen und Zuhörer wurden die Vorschläge rege diskutiert. Prölß-Kammerer erklärte, diese Impulse mit aufnehmen zu wollen.